Gutachten zur temporären Gestaltung des Jüdenhofs in Berlin

Ziel des Gutachtens ist die Entwicklung eines hochwertigen Gestaltungskonzepts, das die künftigen Raumkanten des Jüfenhofs markiert und den späteren Raum erfahrbar macht. Es soll ein temporärer Platz geschaffen werden, der Ort und Ausgangspunkt eines wachsenden, nutzungsflexiblen Veranstaltungsprogramms (Informationsvermittlung, Ausstellungen, etc.) wird, um interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Geschichte und die Entwicklung des Stadtquartiers zu verdeutlichen.

In Zusammenarbeit mit m.o.l.i.t.o.r. GmbH und Frau Gerolds Garten AG.

Ergebnis: nicht zur Umsetzung ausgewählt
Bearbeitung: 2019

 

 

 

 

 

 

Gedanken vorab – Der Standort

Mit der temporären Nutzung des Jüdenhofes in­mitten der Grabungsstätten und vis­à­vis der Hauptstraße betrachten wir einen sehr besonde­ren Standort.
Für den Standort sprechen die zentrale Lage, die Neuartigkeit und das spannende Thema (Ursprung Berlins/ neue Mitte).
Anspruchsvoll wird der Standort aus Betreiber­sicht wegen der Größe (eher klein), der unmittel­baren Lage an der Hauptstraße, die dauerhafte Baustellen­situation sowie das Fehlen anderer Nutzungen im unmittelbaren Umfeld.

Nahegelegene „vergleichbare“ Sommer-­Nutzun­gen wurden bereits als schwierig beurteilt (z.B. Jannowitzbrücke) und im Winter wird die Situation nochmals herausfordernder.
Dennoch ist die Bestrebung, über einen zentralen liebevollen Standort den Austausch und das Ge­spräch mit den Menschen zu suchen, eine riesen Chance.

Wir glauben, dass es ein starkes Konzept brauchen wird, um dem Ort Leben und Liebe einzuhauchen.

Zielgruppe

Stadt­Berliner und Anwohner, Arbeitnehmer aus dem Umfeld, Stadtplanungs­Inte­ressierte, Touristen. Der Ort muss viele Arten von Begegnungen zulassen.

Um den Austausch und im weitesten Sinne eine moderne Partizipation betref­fend des spannenden Standortes zu suchen, halten wir es für sehr wichtig, vor allem Berliner Bewohner jedes Alters und jeder Gesellschaftsschicht zu Gast zu haben: vom Politiker zum Hipster. Von der Familie zum Intellektuellen. Die Zielgruppe wird im Verlauf des Tages, der Woche und zu bestimmten Anlässen wechseln. Außerdem werden geladene Gäste und interessierte Berliner den Ort zu Informationsveranstaltungen und Ausstellungen besuchen.

Café & Biergarten: mittags Arbeitnehmer im Umkreis/nachmittags Touristen und Eltern / abends Arbeitnehmer und im weitesten Sinne Anwohner
Märkte und andere Eigenveranstaltungen ziehen in der Regel eine sehr breite Zielgruppe aus ganz Berlin an

Ziel: vor allem Anwohner aktivieren.
Ziel sollte es außerdem sein, am Wochenende im Sommer am Abend auch junge Leute für den kulturellen Ort zu begeistern.

Zielsetzung – Lieblingsort

Kultur, Geschichte und Wandel live erleben und dabei ein ungezwungener Begeg­nungsort inmitten der Stadt – inmitten der Ausgrabungen

Berlins Herz wurde vor vielen Jahren in zwei Stücke getrennt.  Der Ort, der neu an den Ursprüngen unserer Stadt entstehen soll, soll dieses Herzstück wieder zurückholen. Das ist eine große und tolle Aufgabe.
Die temporäre Zwischennutzung wird den Grundstein für alles Neue legen. Dieser Relevanz muss mit genug Nachdruck, Größe und Sorgfalt sowie ausreichend Understatement begegnet werden.
Wir wollen einen Ort entwickeln, in den man sich neu und behutsam in dieses Stück Geschichte und Berlin verlieben kann. Einen bezaubernden Ort der Begegnung.
Wir glauben, dass es viel Aufwand brauchen wird, damit der Ort funktioniert und die Berliner wirklich kommen.
Neben den geschichtlichen Highlights braucht es deshalb ein starkes inhaltliches und gastronomisches Konzept („Café“).

Charmant, kulturnah, grün und zugänglich

Der gastronomische Teil des Konzeptes sorgt dafür, dass der Platz belebt und geliebt wird. Ein Vorbild im Sinne einer gelungenen Belebung und Gastronomie aus Berlin wäre z.B. das Park Café am Fehrbelliner Platz. Hier vermischen sich Biergarten und Sommer­-Café mit Flohmarkt und Park. Das ganze an einer sonst eher vielbefahre­nen Kreuzung.

Treffpunkte schaffen: Menschen treffen sich und verweilen. Es gibt viele Sitzgelegenheiten. Ter­rassenartige Gestaltung des Platzes bricht den Raum und ermöglicht gemütliches Sitzen an klei­nen Tischen und an langen Tafeln. Die Materialität mit viel Holz zwischen Grün sorgt für Heimeligkeit. Die Lichtstimmung mit Lichterketten für Atmo­sphäre.
Biergarten: Obwohl das Café ganzjährig betrie­ben werden soll, gibt es in der Gestaltung einen klaren Sommer­ und Außenfokus mit großem Biergarten und Sonnendeck. Die Berliner lieben Biergärten – vor allem solche, die ein bisschen anders sind.
Gastgeber: Ein starkes Gastgeber­-Team, das dem Ort eine Seele verleiht und nachhaltig belebt: Das Restaurant wird vom Gastgeber leben. Der Ort sucht nach einer Identität. Hat viel Geschichte und sucht nach einer kompatiblen Zukunft.
Patina: Die Temporarität lebt davon, dass der Standort dennoch von Anfang an eine gewisse Patina hat. Also auch tatsächlich das Gefühl vermittelt, schon immer da gewesen zu sein. Dadurch werden bewusst Relikte aus der Ver­gangenheit in die Gestaltung integriert: der historische Baum, Ausgrabungselemente, Altholz, hochwertige Vintage-­Möbel.
Garten: Viel Grün inmitten der grauen Baustelle –Integration eines Gartens: im Kontrast zur Bau­stelle hauchen viele Blumen, Pflanzen und Kräuter dem Platz Leben ein und erzeugen ein sommerli­ches Lebensgefühl mitten in der Stadt.

Für „alle“ (von den Großeltern bis zum Hipster – vom Auto­ bis zum Fahrradfahrer – vom Politiker bis zum Alt­-Punk). Integrativ und interaktiv.

Ausstellungskonzept, Archäologisches Fenster

Der ehemalige Jüdenhof in Berlins historischer Mitte soll temporär erfahrbar gemacht werden. Zielgrup­pen sind sowohl Tourist*innen sowie Berliner*innen, geführte Touren­ und auch Einzelreisende. Der Jü­denhof soll ein Ort mit hoher Verweilqualität sein. Bewusst setzt er sich vom hektischen Treiben des Umfeldes ab.

Ziel ist es, den historischen Kontext des Ortes sichtbar zu machen. Zahlreiche geschichtliche Schichten sind an diesem Ort verdichtet. Archäologi­sche Grabungen befördern die Schichten und helfen sie zu interpretieren. Aufgabe der Ausstellung ist es, die Vielschichtigkeit der Nutzung und Überbauung des Ortes verstehen zu lernen. Dabei ist es wichtig, verschiedene Vertiefungsebenen dem heterogenen Ausstellungspublikum zur Verfügung zu stellen.

Die Ausdehnung der baulichen Maßnahmen orien­tiert sich am mittelalterlichen Jüdenhof und zeichnen dessen Grundfläche nach.
Die östliche Gebäudezeile bildet den Rahmen einer interaktiven Tafelausstellung. Tafeln, die sich von den Besuchenden in der Höhe bewegen lassen, zeigen aus der Blickrichtung vom Hof her historische Ansichten der Jüdenhoffassaden. Die einzelnen Tafeln ergeben aus bestimmten Perspektiven sich ergän­zende Abfolgen von Fassadenfotografien im Zustand des frühen 20.Jahrhunderts. Zwischen den einzelnen Tafeln kann man flanieren. Die Rückseiten der Tafeln sind mit Informationen zum Ort aus der Geschichte, der Gegenwart und vor allem auch der Planung zum Umfeld des Jüdenhofs bespielt. Mit Texten, Bildern und Plänen werden Zusammenhänge um den Ort illustriert, auch Audiobeiträge und kurze fi lmische Beiträge können abgerufen werden und lassen die Inhalte lebendig werden. Die Inhalte lassen sich, vor allem im Bereich der zukünftigen Bespielung, aus­wechseln und demnach aktuell halten.

Archäologische Grabungen werden den gesamten Projektzeitraum begleiten. Besuchende sind interes­siert, welche Objekte hier in der Mitte der Stadt ge­borgen werden und wie Fachleute sie interpretierten. Deshalb werden diese Exponate hier gezeigt.
Die Fassade des Cafés besteht im Bereich des Erdgeschosses zum Hof hin aus einer Verglasung mit einer zurückgesetzten zweiten Glasebene und da­zwischen eingelegten Fachböden. So entsteht eine Vitrinenanlage, die es ermöglicht, über die gesamte Länge des Cafés – nur unterbrochen von den Türen – zahlreiche Exponate zu präsentieren.
Besuchende können die Objekte im Schaufenster der Archäologie sowohl aus dem Café als auch von der Hofseite von draußen betrachten. Die Fundstü­cke werden aktualisiert, es gibt ein Fundstück des Monats und sie werden mit Texten im historischen und baulichen Rahmen eingeordnet. Archäologen erläutern die Fundstücke an Audiostationen und auf Monitoren besteht die Möglichkeit, vertiefende Infor­mationen zum Grabungsgeschehen abzurufen.

Vom Balkon des Cafégebäudes blickt man in die archäologischen Grabungen. Über die Zeit des Pro­jektes werden historische Funde erschlossen. Eine taktile Übersichtskarte am Balkon montiert, ermög­licht sehenden und nichtsehenden Besucher*innen Orientierung vor Ort und in den zugehörigen historischen Zusammenhängen. Mehrere parallele Übersichtskarten für die diversen Siedlungszeiträu­me werden mit Projektverlauf aktualisiert.

Die Blickachsen zu den historischen Kirchen Ber­lins, aber auch andere relevante Gebäude und geo­graphische Gegebenheiten werden auf einer histori­schen taktilen Karte deutlich. Diese Karten, die den Jüdenhof in Relation zu seinem Umfeld setzen, sind ebenso im Außenbereich, im Eingangsbereich und im Bereich der Ausstellung zu finden.

Zusammen mit den Grabungsarchäologen und Anbietern von geführten Stadttouren wird ein Ver­mittlungsprogramm zu Berlins historischer Mitte entwickelt bzw. wird Ortsspezifika in bestehende Touren eingebaut. Der Jüdenhof wird zum Treffpunkt und erholsamen Zwischenstopp von Touren, die zu Fuß und per Fahrrad unterwegs sind.